Sonntag, 30. September 2012

Dritte Grüße aus Peking

Seit nunmehr einem Monat weile ich hier und ohne große Ausflüge zu tätigen ereignete sich hier in den vergangen Wochen genug:

Offiziell hat die Uni bereits vor drei Wochen angefangen, einen entsprechenden Alltag erlebe ICH jedoch erst seit dieser Woche. Denn vorerst wurde ich in einen utopisch hohen Kurs eingestuft, der als Krönung noch im wahrscheinlich heruntergekommensten Gebäude der Uni stattgefunden hat. Herausforderungen sind ja nett, aber quälen und unwohl fühlen möchte man sich ja auch nicht. Somit habe ich beschlossen die Klasse zu wechseln, was sich als die bislang größte Herausforderung, aber beste Entscheidung des vergangenen Monats herausstellte. Zu gerne vergleiche ich es mit dem Asterix Film, bei dem sich die beiden im Irrenhaus um den Passierschein A38 bemühen:
Englisch spricht in der Verwaltungsebene niemand und überhaupt: Wer verwaltet diese Universität eigentlich? Für mich hat sich jedenfalls niemand verantwortlich gefühlt und wenn mein Anliegen mal verstanden wurde war man nicht zuständig oder 100% davon überzeugt, dass ein Kurswechsel unmöglich sei. Der ein oder andere schaffte es zu einem „that is law, that is hirachie“! Wenn man dann das Gefühl hatte das Büro eines Verantwortlichen gefunden zu haben, befand sich dieser mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit in der Mittagspause – unter uns: „Büro“: chaotisch, wenig liebevoll, Plüschtiere überall?!
Offensichtlich war der Kurswechsel ein sehr deutsches Phänomen, sodass ich bald deutsche Leidensgenossen gefunden habe. Vier Tage lang haben wir uns bemüht, in Phasen der Verzweiflung oder Wartezeiten bei einem kühlen Ananasbier in der Sonne Good Old Germany gelobt und uns gegenseitig daran erinnert, dass wir das ganze doch mit Humor nehmen wollten… und eines Nachmittags saß doch tatsächlich der Dekan höchstpersönlich in seinem Büro, welcher uns ohne zu zögern auf ein altes Schmierpapier die erlösenden Worte schrieb „Anna Böhm darf den Kurs wechseln“. Plötzlich ging alles ganz einfach…! Ein Stein fiel uns vom Herzen, unterm Strich eine sehr interessante Erfahrung. Und als Belohnung habe ich mir dann auch meine erste Maniküre gegönnt, Tiefenentspannung!

Unibeginn in Woche zwei? Fehlanzeige! Eigentlich hatte ich ausschließlich den Wunsch nach Ruhe, doch diesmal war das Alternativprogramm jedenfalls sinnvoll, spannend und beinhaltete ein klein bisschen Heimat: Frau Buch, Herrn Kohler, Frau Harsch und weitere Ökonomen aus Tübingen und der Welt kamen nach Peking, um die ersten Ergebnisse ihres Forschungsprojektes „Europe’s Global Linkages and the Impact oft he Financial Crisis“ zu präsentieren.




Auch wenn ich mich streckenweise Fehl am Platz fühlte waren es unheimlich interessante Einblicke. So hat jeder Projektteilnehmer seine Forschungsergebnisse präsentiert, worüber im Anschluss kurz diskutiert wurde. Themen waren z.B. Immigration and Outsourcing; Market Structure in the Banking Sector: Cross-Border Banking; International Competition, Market Access and Job Reallocation with Evidence from China u.v.m.
Anschließend wurden Herangehensweise, Quantitative Methoden und Ergebnisse diskutiert.  
In unserem Fall war die Atmosphäre sehr familiär. Bei vergleichbaren Veranstaltungen könne es wohl auch sehr viel rauer oder gar unsachlich zugehen (Na, im genannten Workshop hat ja auch keiner Hypothesen „verworfen“;-))! Außerdem habe ich dort das wahrscheinlich beste Essen des ganzen Semesters genossen: Putenbrustmedallions auf Brokkoli mit Mandelsplitter, Zucchini im Tomatenbett,  
Pralinen vom Feinsten, herrlich!
Zurück zur Leitlinie meiner Pekingerzählungen: Die Kontraste! Das Sino-German-Center for Research Promotion ist eine unheimlich Moderne Anlage unweit der Universität, seht selbst.



Unvorstellbar, dass einen wenige Meter weiter die Armut schon wieder einholt, abgebildet ein „Frisörsalon“ auf der gegenüberliegenden Straßenseite.                                   

So durfte auch ich in China in den Genuss der VWL kommen, denn ansonsten besuche ich hier ja „nur“ drei Sprachkurse: Sprechen, Grammatik und Hören. Meine Lehrer sind unheimlich herzlich (wenn auch pädagogisch nicht sehr bewandert) und auch mit meinen Klassenkameraden verstehe ich mich sehr gut, natürlich wieder mal keine Einheimischen;-)! Bei einer Klassengröße von 10 Personen lernt man sich schnell kennen und diese Woche habe ich sogar ein Kurstreffen organisiert, bei dem wir zusammen Chinesisch essen waren. Vielleicht kommt das ja schon Bald öfter vor: - )!? Da wir ausversehen Hühnerfüße bestellt haben, durfte ich auch mal in den Genuss kommen (:-* an Julia). Aber abgesehen davon, dass es gruselig aussieht schmeckt es auch nicht sehr anders, als alle anderen mir bekannten Körperteile von Geflügel…

Unser schnuckeliger Klassenraum

Meine Klassenkameraden




In den Mensen ist das Essen nicht ganz so exotisch, obwohl ich oftmals nicht weiß, was wir dort genau aufgetischt bekommen. Da ich die Bezeichnungen auch nicht lesen kann, habe ich schon das ein oder andere überraschende Geschmackserlebnis hinter mir, vor allem was Schärfe oder exotische Gewürze angeht (denn das sieht man den Speisen vorher nicht an). Aber mit Reis, Hühnchen und Gemüse kann man eigentlich kaum etwas falsch machen.

In der Mensa: Ich möchte keine Beschwerden mehr von euch hören, dass so viele Asiaten unter euch sind;-) 

Meine Lieblingsmensa. Hier greift man einfach zu, wenn etwas appettitlich aussieht!

Zur Auswahl habe ich on Campus ca. 10 Mensen. Was ich damit sagen will? Der Campus ist gigantisch groß, quasi ein kleines Dorf. Hier gibt es alles, bis auf geregelten Verkehr: Supermärkte, Restaurants, Cafes, Apotheken, Schuhmacher, Fahrradwerkstätten (wichtig! Rund laufen die nie! Bei mir ist aber bislang nur die Pedale bei einer minimalen Steigung abgefallen und eine nette Dame vor dem Supermarkt hat die Luft aus meinem Reifen gelassen, weil ich angeblich nicht auf dem offiziellen Radparkplatz geparkt habe, bei dem sie an mir stolze 0,001 Cent hätte verdienen können! Konnte das entsprechende Hinweisschild leider nicht lesen und musste es auf diesem Weg erfahren!) , Parkanlagen, Seen und ein paar Unigebäude;-)!

Menschenmengen on Campus: Bei dem Bild fragt ihr euch wahrscheinlich, wie ich es schaffe nur mit Internationals in Kontakt zu gelangen;-)






Mein Wohnheim


Nachdem ich also endlich einen Alltag lebe, muss ich mich auch schon wieder in die Nationalferien verabschieden, anlässlich des Mondfestes. Ich weiß nicht, was das ist und möchte es einfach auf mich zukommen lassen. Im Übrigen ist es äußerst pfiffig einem Land, welches 1.339.724.852 Einwohner zählt zeitgleich eine Woche Ferien einzuräumen! In den Großstädten herrscht Chaos und die öffentlichen Verkehrsmittel sind ausgelastet. Bei mir geht es für vier Tage in die Innere Mongolei, freut euch auf Berichte!
Zu guter Letzt noch Erlebtes ohne Struktur, das ich gerne teilen möchte:
1.      Ich erwähnte ja bereits, dass der Zweiradverkehr hier immens ist und dass man gerne auch mal zu 3. auf einem Roller fährt, natürlich ohne Schutzhelm. Sprachlos war ich allerdings, als ich die Tage einen Rollerfahrer gesehen habe, der hinter sich seinen Kinderwagen herzog!
2.      Die Kinder gucken mich immer an, als sei ich außerirdisch: weite Augen, offener Mund, aber irgendwie putzig! Viele Kinder winken mir auch!
3.      Apropos Kinder: Es ist unheimlich auffällig, dass es hier nur Einzelkinder gibt, sehr ungewohnt! 
4.      Vielleicht habt ihr von dem Inselkonflikt zwischen China und Japan in den Nachrichten gehört. Als wir uns in der Pause darüber unterhalten wollten, haben wir das Gespräch nach wenigen Minuten eingestellt. Aus irgendwelchen Gründen fühlt man sich ungut dabei frei über derartiges zu sprechen und es ist mit Sicherheit auch nicht gewünscht. Ich verstehe die TV-Nachrichten hier leider nicht, aber ein Freund deutete an, dass die dortige Darstellung der Situation sehr einseitig sei!
5.      Nachdem die Leute hier ja schon einen fetten Minuspunkt in Sachen Organisationstalent gemacht haben, können sie auch im Verkehr auf dem Campus nicht bei mir Punkten. Hier wird kreuz und quer gefahren und gelaufen! Habe in den letzten drei Wochen hier schon mehr geflucht, als die letzten 22 Jahre in Deutschland. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich die Gesichtsausdrücke noch nicht deuten kann, doch auf mich wirkt es so, als fahre hier niemand vorausschauend, äußerst anstrengend. Aber vielleicht ändert sich der Eindruck ja, wenn ich nächste Woche meine Languagepartnerin kennen lerne und „die Chinesen“ nicht mehr als Masse sehe, sondern Persönlichkeiten kennen lernen darf!

Jedenfalls geht es mir soweit gut. Ich denke das Einleben dauert hier einfach ein paar Tage länger, als bei euch. Mittlerweile muss ich es mir aber tatsächlich schon oft vor Augen halten, dass ich gerade in PEKING bin! Das vergisst man trotz all der Kuriositäten schon mal.
Ich drücke euch alle und freue mich immer von euch zu hören!

Abschließend noch einige Fotos:

Im Anklang an Timos Suchbild: Wer findet die Europäerin?


Kann mir jemand den Busplan erklären? Ich verstehe nur "Bahnhof" ;D?

Ein Ausflug in die Innenstadt hat gezeigt, wie gut die Luft doch im Univiertel ist: Smog über der Verbotenen Stadt




4 Kommentare:

  1. Meine Güte Anna! Wahnsinn, was du immer alles erzählst. Sie machen es dir echt nicht einfach dort. Ich bewundere wie du das alles mit Gelassenheit und Humor nimmst. Wenn man im Ausland für längere Zeit ist, ist man gerade am Anfang häufiger etwas angespannter und sensibler. Ich glaube, wenn mir jemand im falschen Moment das Fahrrad aus dem Reifen gelassen hätte, wären mir die Tränen gekommen. Das ist iwie schon super gemein.
    Ich drücke dir die Daumen, dass ersten die Reise in die Mongolei eine schöne Erfahrung wird und zweitens, dass deine Sprachpartnerin sympatisch ist und ihr Völkchen gut vertritt. Der Japan-China-Konflikt ist zumindestens in deutschen Medien super groß. Hast du schon was davon mitgekommen, dass die Regierung nichts unternimmt, wenn der wütende chinesische Mob durch die Straßen zieht und japanische Botschaften oder Geschäfte angreift und nach Krieg ruft?
    Woher hast du eigentlich mitbekommen, dass die Tübi-Delegation kommt/gekommen ist?
    Also ich wünsche dir weiterhin ganz viel Gelassenheit und gute Nerven.
    Fühl dich umarmt,
    Flici

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    1. :) "das Fahrrad aus dem Reifen gelassen" Ach Flici, du bist ganz die Alte :-*

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  2. Oh meine Güte Anna, kann mir das gar nicht so richtig vorstellen hier im "Westen" was du da in China so alles erlebst. Ich hoffe dein Ausflug in die Mongolei zeigt dir eine andere Seite des Landes auf und du kannst dein Auslandssemester auch mal genießen und die bestimmt auch zahlreich vorhandenen schönen Seiten Chinas entdecken. Mach es weiterhin gut, lass dich nicht überfahren und park dein Fahrrad an Stellen wo dir nicht das Fahrrad aus den Reifen gelassen wird. big hug :-*

    Ps:
    Jetzt wurde mein Kommentar schon zum zweiten Mal nicht veröffentlicht, fühle mich schon wie in China, wo alles zensiert wird! Hoffe jetzt klappt es :)

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  3. Ach herrje, wie konnte ich denn nur so einen Blödsinn schreiben? :D

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